Im Jahr 1917, also noch vor dem Ende des 1. Weltkrieges, zog das Ehepaar Samuel von Stade nach Cadenberge. Eugenie und Arthur waren beide 37 Jahre alt und es ging ihnen darum, sich in diesen unsicheren Zeiten eine solide geschäftliche Existenz als gemeinsame Lebensgrundlage aufzubauen. Cadenberge war in der gesamten Region bekannt als Standort für bedeutende Märkte und Arthur sah die große Chance, als selbstständiger Viehhändler hier seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Wohnhaus Langenstraße 18
Das erste Wohn- und Geschäftshaus erwarb das Ehepaar 1919 in der Langenstraße 18. Offensichtlich wurde diese Entscheidung dann jedoch als „Fehlkauf“ betrachtet, weil das Haus schon 1924 wieder veräußert wurde und danach verschiedene andere Besitzer fand.
Häuser und Grundstücke Finkenhörne 3 – 5
Bereits 1920 erfolgte der nächste Immobilienankauf in Form der Häuser und Grundstücke mit der Adresse Finkenhörne 3 – 5. Dieser Kauf war wesentlich zielgerichteter geplant, weil die Grundstücke in unmittelbarer Nähe der großen Viehmärkte lagen, die regelmäßig entlang der gesamten Bahnhofstraße abgehalten wurden. Auf dem neuen Besitz wurde hauptsächlich Vieh in Scheunen gehalten, das angekauft wurde oder zum Verkauf bestimmt war.
Wohn- und Geschäftshaus Bahnhofstraße 2 (heute noch Apotheke)
Eine entscheidende Möglichkeit zur Erweiterung der Geschäftstätigkeit bot sich für die Samuels mit dem Erwerb des Eckgrundstücks Bahnhofstraße 2/Finkenhörne, auf dem ein Fachwerkhaus mit Strohdach stand, welches 1853 als Gastwirtschaft vom Getränkelieferanten Johann Tiedemann gebaut wurde. Nach kurzzeitigen anderen Besitzverhältnissen kaufte Arthur Samuel das Areal im Jahr 1923 und ließ das alte Gebäude abreißen. Daraufhin wurde – für Cadenberger Verhältnisse eher ungewöhnlich – ein Architekt aus Cuxhaven mit dem Entwurf für den Neubau eines attraktiven Wohn- und Geschäftshauses beauftragt. In Planung kam ein großzügiges Gebäude mit äußerem Treppenaufgang, Erkern und Fensterläden. Ein Objekt, das aufgrund seiner Lage nahe am Ortseingang sofort ins Auge fiel. Eine regional-historische Darstellung beschrieb das Gebäude als ein Haus, das „in seinem Stil über die damals übliche Bauweise hinausging“.
Über die Höhe der Baukosten sind uns keine Angaben bekannt.
Das Ehepaar bewohnte diese kleine „Villa“ von 1923 wahrscheinlich bis zum Jahr 1937 oder 1938.
Bahnhofstraße 2 – Das nach 1923 errichtete Wohn- und Geschäftshaus der Samuels.
(Foto: Privat)
Durch die Verfolgung als Jude in der Nazizeit seit 1933 wurde das Handelsgeschäft von Arthur stetig eingeschränkt, bis ihm schließlich 1937 die Lizenz entzogen wurde. Vorübergehend ohne Einkünfte und dann zur Zwangsarbeit bei verschiedenen Baufirmen in Cadenberge eingesetzt, war es dem vormals erfolgreichen Geschäftsmann schwer möglich, sein Haus zu unterhalten.
Im Zusammenhang mit den Progromen am 9. November 1938 wurde der Druck der Nazi-Regierung auf die jüdischen Bürger weiter gesteigert, um ihnen die Existenzgrundlage zu entziehen. Durch Verordnungen wurden sie gedrängt, ihre Gewerbebetriebe und ihren Grundbesitz zu verkaufen.
Bemerkenswert ist es, dass die Samuels am Progromtag keinerlei Gewalttaten an sich selbst oder ihrem Haus erleiden mussten, während zur gleichen Zeit die Nazis deutschlandweit Juden verletzten oder töteten und ihre Häuser in Brand setzten.
Dennoch wurde Arthur Samuel am nächsten Tag von der Gestapo verhaftet und musste drei Wochen im Gefängnis in Bremerhaven verbringen.
Arthur und Eugenie Samuel wurden mehr oder weniger gezwungen, ihr Haus Bahnhofstr. 2 zu verkaufen. Vermutlich in den Jahren 1937 bis 1938 kam es zum Verkauf an den neuen Besitzer Tierarzt Dr. W. Warnecke. Ab 1951 folgte als Besitzer Kurt Kimpel, der in Cadenberge die erste Apotheke einrichtete.
Über den Wert des Gebäudes, den Preis und die Umstände des Verkaufs sind uns leider keine Details bekannt. Selbst Arthur Samuel hat zu den Hintergründen der Transaktion auch nach 1945 nur zurückhaltend Stellung genommen.
Einem Vermerk der Gemeinde Cadenberge im Zusammenhang mit einer Anfrage der Bezirksregierung Stade aus dem Jahr 1956 ist zu entnehmen: „Das jetzige Geschäftsgrundstück Bahnhofstr. 2 war früher sein (Arthur Samuel) Eigentum. Zum Verkauf desselben werden wirtschaftliche Schwierigkeiten angenommen. Hierzu hat ein Verfahren gelaufen. Es ist aber nicht bekannt, wo diese Unterlagen verwahrt werden“.
Auch wenn keine Einzelheiten bekannt sind, könnte nach unserer Einschätzung dieses Verfahren ein Versuch gewesen sein, auf kommunaler Ebene den Hausverkauf halbwegs fair zu gestalten, um sowohl den Interessen des Verkäufers und des Käufers, als auch der Gemeinde Cadenberge entgegenzukommen. Vermutlich aus diesen Gründen sollte der Hausverkauf wie ein üblicher Verkauf aus privatem Anlass erscheinen, der nichts mit der Politik der Nazis zu tun haben sollte.
Als Grund für den Hausverkauf von Arthur Samuel nannte der vor einigen Jahren im hohen Alter verstorbene Steuerberater Rudolf Wöst einen vorhandenen Geldbedarf, da angeblich ein „Schwager (?) Schmidt aus Bremen“ in Schulden geraten war, weil er sich „verspekuliert“ hatte.
Diese Aussage scheint eher Teil des gemeinsam vereinbarten Rahmens der Verkaufsverhandlung gewesen zu sein, um eine selbst steuerbare Lösung im Gemeindebereich zu finden und sich aus der verschärfenden politischen Entwicklung herauszuhalten.
Ein „Schwager (?) Schmidt aus Bremen“ ist im verwandtschaftlichen Umkreis von Arthur Samuel nicht bekannt.
Für Arthur Samuel war dieser Weg zum Hausverkauf wohl dennoch die bessere Lösung als ein noch geringerer Erlös und wahrscheinliche antisemitische Diffamierungen bei einer zwangsweisen, öffentlichen Versteigerung.
In einem Bericht der „Niederelbe-Zeitung“ aus den vergangenen Jahren wurde eine Zeitzeugin dahingehend zitiert, „dass nach dem Kriegsende die englischen Besatzer Arthur Samuel angeboten haben, dass er das Haus zurückerhalten kann. Er habe jedoch abgelehnt, weil er das Haus schon verkauft habe.“
Diese Aussage kann auch als Hinweis verstanden werden, dass Arthur Samuel aufgrund der schweren politischen Verfolgung sich eher für ein abgestimmtes Hausverkaufsverfahren auf Gemeindeebene entschieden hat.
An die Verschwiegenheit der Verkaufsbedingungen hat sich Arthur Samuel ebenso wie die anderen Beteiligten auch nach dem Kriegsende 1945 streng gehalten.
Wohnhäuser Bahnhofstr. 25 und Osterstr. 3 (früher Ostermoor 32)
Wann der Auszug nach dem Hausverkauf Bahnhofstr. 2 erfolgte, ist nicht genau belegt. Wir gehen von den Jahren 1937 oder 1938 aus.
Aufgrund des Drucks durch die politische Verfolgung der Nazis und des eiligen Hausverkaufs zogen Arthur und Eugenie Samuel zunächst in das damalige Strohdachhaus Bahnhofstr. 25. Der Eigentümer Heinrich Schlichting wohnte gleich nebenan in der Bahnhofstr. 27. Das Gebäude Bahnhofstr. 25 war ein Fuhrgeschäft. Große Kaltblutpferde zogen schwere Wagen, mit denen überwiegend Stroh und Heu transportiert wurden. Da das Erdgeschoß ausschließlich für das Fuhrwerk-Gewerbe genutzt wurde, blieb nur wenig Platz zum Wohnen im Obergeschoß. Diese Wohnbedingungen waren erheblich schlechter als in der Bahnhofstr. 2.
Daher gab es bald Überlegungen, trotz aller Widrigkeiten eine bessere Alternative zum Wohnen zu finden. Eine große Hilfe war dabei sicherlich Rechtsbeistand Carl Wöst, der vermutlich beim Hausverkauf ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben wird.
Wahrscheinlich Anfang der 40er Jahre bezogen die Samuels das Wohnhaus Osterstr. 3 (früher Ostermoor 32). Das genaue Einzugsdatum ist nicht bekannt. Im bereits o.g. Schreiben aus dem Rathaus Cadenberge heißt es weiter: „ Herr Samuel nutzt hier Ostermoor 32, ein Einfamilienhaus. Eigentümer ist die Erbengemeinschaft Schaars in den USA (Verwalter Rechtsbeistand Carl Wöst). Während des Krieges wohnte der Antragsteller (Arthur Samuel) schon Ostermoor 32.“ Die Schaars waren eine jüdische Familie, die sich offenbar Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA niedergelassen hatten.
In diesem Haus lebte das kinderlose Ehepaar zusammen bis zum Tod von Eugenie im Jahr 1956.
Acht Jahre später kam unser Mitherausgeber Henry Irwig, der Großneffe, als junger Student für einige Tage zum Besuch aus Südafrika und wohnte bei seinem Großonkel in diesem Haus.
Arthur Samuel starb 1971 im hohen Alter von 91 Jahren; als seinen letzten Aufenthaltsort wird in den Unterlagen das Kreisaltersheim in Ihlienworth genannt.
Das Wohnhaus Osterstraße 3, in dem die Samuels ihren gemeinsamen Lebensabend verbracht haben.
(Foto: Privat)