Ein bevorzugter Marktplatz

Es wäre wohl unzutreffend, sich das Cadenberge der zwanziger und dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts nur als ein verschlafenes Dorf zwischen dem Marschland hinter dem Oste-Deich und den Waldgebieten der Wingst vorzustellen. Denn die besondere Ortslage an einem alten Handelsweg und die für die Landwirtschaft wichtigen fruchtbaren Böden des Umlandes begünstigten schon seit dem ausgehenden Mittelalter die Rolle Cadenberges als Marktplatz an der Niederelbe. Diese Entwicklung wurde durch den Ausbau der im Jahr 1856 angelegten Landstraße zwischen Stade und Cuxhaven (später B 73) und dem Anschluss an die Eisenbahn ab 1881 noch verstärkt.

Die Cadenberger Herbst-, Vieh- und Kramer-Märkte erfreuten sich immer größerer Beliebtheit. In einem Bericht der „Neuhaus-Ostener-Zeitung“ aus dem Jahr 1921 ist zu lesen: „In der Bahnhofstraße an beiden Seiten und auf den Höfen der Gasthäuser stand das Vieh dichtgedrängt und … wenn die Züge einliefen, ergossen sich wahre Menschenströme in den Ort.“ Die Zahl der BesucherInnen an zwei Markttagen könnte sich um die 10.000 bewegt haben. (Dabei ist zu bedenken, dass der Ort damals nur knapp 1.300 EinwohnerInnen hatte.)

Den Einheimischen wurden zum Teil private Schankerlaubnisse erteilt, um Kost und Logis für die vielen Gäste zu gewährleisten. In den Sälen fanden Marktbälle statt.

Vor allem aber blühte der Handel. Es wurde geschätzt, dass in den zwanziger Jahren bis zu 1200 Stück Hornvieh am Markt waren. Für den Transport der Tiere setzte die Unterelbische Eisenbahn bis zu 40 Waggons ein.

In den Erzählungen heißt es, dass die auf den Cadenberger Viehmärkten erzielten Preise wohl die „Richtpreise“ beim Viehverkauf in der gesamten Region waren.

Viehmarkt in Cadenberge um 1909; Blick vom Ortseingang in die Bahnhofstraße. Auf dem Grundstück vorne rechts wurde später nach einem Abriss des Gebäudes das neue Wohn- und Geschäftshaus der Samuels errichtet; die heutige Apotheke.
(Foto entnommen aus dem Buch der Heimatfreunde »Wie es einmal war«. Foto: Archiv Heimatmuseum Geversdorf)

Erfolgreiche Geschäfte

Vielleicht war besonders dieser wirtschaftliche Aspekt ein Grund dafür, dass sich Arthur Samuel und eventuell auch seine Frau Eugenie ab 1903 im Landkreis Stade und 14 Jahre später in der Gemeinde Cadenberge angesiedelt haben. Schon kurz darauf wurde Arthur als selbstständiger Viehhändler tätig. Im Laufe der Zeit offenbar mit großem geschäftlichen Erfolg. In den gerichtlichen Verfahren nach 1950, in denen es um Leistungen aus dem Bundesentschädigungsgesetz ging, gab Arthur Samuel für die Jahre von 1930 bis 1932 zwischen 12.000 und 24.000 Reichsmark als jährliches Einkommen an. Das waren für die damaligen Verhältnisse außergewöhnlich gute Umsätze.

Arthurs Tätigkeit als Viehhändler vollzog sich offenbar schwerpunktmäßig in den Gemeinden an der Niederelbe. Aber es unterstreicht sein offensichtlich besonderes Geschick für das Wirtschaftliche, dass in den schon o.g. juristischen Verfahren davon berichtet wird, wie er vor 1933 auch auf „weit entfernten Viehmärkten wie Lübeck, Dinslaken und Dortmund“ als Händler unterwegs war.

Der wirtschaftliche Erfolg wird dokumentiert durch die Tatsache, dass die Samuels sich schon bald als eine der ersten in Cadenberge ein Automobil anschaffen konnten. 1920 folgten Grundstückskäufe und 1923 der Hausneubau (spätere Apotheke) in der Bahnhofstraße 2.

Folgerichtig weisen die Telefonbücher bereits in den zwanziger Jahren einen Anschluss für den Viehhändler aus. Und fast wie selbstverständlich gehörte das Ehepaar auch zu den ersten Radiobesitzern in Cadenberge. (Das Gerät spielte später noch eine besondere Rolle, weil Juden zu Beginn des Krieges ihre Radioapparate abliefern mussten; einem Zeitzeugenbericht zufolge hat der damalige Cadenberger Bürgermeister und Nazi-Funktionär Karl Klein das Gerät persönlich bei den Samuels beschlagnahmt.)

Stets fair und hilfsbereit

Ohne Zweifel muss der geschäftliche Erfolg als ein entscheidender Faktor für das gesellschaftlich hohe Ansehen der Samuels in Cadenberge benannt werden.
Wer sich jedoch mit den wenigen dokumentierten Zeugnissen und Aussagen über die Persönlichkeit und die menschlichen Verhaltensweisen des Ehepaares in ihrer Gemeinde beschäftigt, erfährt einen weiteren Grund. Geradezu überwältigend sind die Beschreibungen der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft des Ehepaares.
Sowohl in den Zeitzeugeninterviews als auch in den aus anderen Unterlagen zu entnehmenden Berichten wird durchgängig die große Fairness und solidarische Einstellung gegenüber den Landwirten als Geschäftspartner bestätigt.

Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Viehhändlern sei Arthurs Auftreten immer fair und korrekt gewesen. Besonders die kleinen Bauern wurden von ihm unterstützt und dafür war er bei ihnen beliebt, heißt es zum Beispiel in den Erinnerungen des Zeitzeugen Jonny Tiedemann. Arthur Samuel war bekannt dafür, dass er mit seinem Auto bei Transporten half. Jugendlichen verschaffte er mit Hilfsarbeiten beim Viehauftrieb einen kleinen Zuverdienst und insgesamt war er als Förderer der Dorfjugend bekannt. Alle erlebten ihn und seine Frau Eugenie als hilfsbereite und stets zugewandte Menschen, denen die Cadenberger, und unter ihnen insbesondere die Bauern, vertrauten.

Zudem zeigte sich das Ehepaar offenbar auch in der Geselligkeit des Vereinslebens aktiv und geschätzt. Dazu gehört unbedingt auch der Hinweis darauf, dass Arthur Samuel schon im Jahr 1930 erstmalig als Schützenkönig in der Gemeinde gefeiert wurde.

Boykott und Lizenzentzug

Der Bruch zunächst im geschäftlichen Leben zeichnete sich schon mit der Machtübernahme durch die Hitlerfaschisten im Jahr 1933 ab. Die früh begonnenen Boykottmaßnahmen gegen Juden trafen auch den Viehhändler Arthur schwer. In den Dörfern wurden Schilder mit der Aufschrift „Juden nicht erwünscht“ aufgestellt. Auch hätten die Bauern, die zuvor seine Geschäftspartner waren, auf ihren Höfen Schilder anbringen müssen, auf denen stand „Juden ist der Zutritt verboten“. So ist es in einem Verfahrensprotokoll des Amtsgerichts Osten aus dem Jahr 1957 nachzulesen. „Gerade in der Gegend von Cadenberge seien Transparente aufgehängt worden mit der Aufschrift: „Wer vom Juden frisst, stirbt daran“. Auch seien SA-Männer auf Viehmärkten unterwegs gewesen, um Bauern zu fotografieren, die mit dem jüdischen Händler Geschäfte abschließen wollten.

Durch diese und andere Maßnahmen wurde der Viehhandel extrem erschwert bis unmöglich gemacht, was zu einem massiven Rückgang der Einnahmen führte. Am 01.11.1937 schließlich wurde Arthur Samuel „wegen seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse“ die Erlaubnis zur Ausübung eines Gewerbes – die sogenannte Legitimationskarte – entzogen. Ab diesem Zeitpunkt blieb das Ehepaar zunächst ohne jegliches Einkommen. Das Ziel der Nazis war die Vernichtung des Geschäftes.